„Flächenbilder“ 1971 – 1976

Mark Rothko, Black on Grey, 1970,
Acryl auf Leinwand, 223,8 x 175 cm,
Privatbesitz

 
Ad Rainhardt, Black, 1954,
Öl auf Leinwand, 198 x 198 cm,
Marlborough International Fine Art, London

Hat Rolf Hans sein Augenmerk bisher auf die reinen, ungemischten Farben gelegt, deren Intensität durch ihre expressive Wirkung meist eine klare Definition zulassen, wendet er sich nun den leiseren Zwischentönen der Palette zu: den gebrochenen Farben. Ein Grund für diesen neuen Ansatzpunkt sind die späten Gemälde von Mark Rothko, die ihn 1971 im Kunsthaus Zürich sehr imponieren: „Die Bilder wirken wie Altäre, hängen an der Wand wie ein Mahnmal, kräftig, trotzig und gewaltig. Farbe strömt von ihnen aus [... Die] Originale [wirken] beruhigend. Fast alle Töne sind gebrochen, auch das gesättigste Gelb. Man braucht Abstand, man braucht Raum für das Betrachten der Bilder. Eines dieser Bilder an einer Wand, ohne Störung durch andere, wirkt wie ein Kathedralenfenster aus Chartres. Die Bilder mit den gebrochenen Farben wirken stärker als die lauten, nicht nur stärker auch tiefer. Ich habe im Katalog nachgelesen: I think of my pictures as dramas. Es spricht eine unverhohlene Heiterkeit aus allen Bildern, teilweise etwas stärker artikuliert, teilweise leiser ausgesprochen. Aber all diese Differenziertheit ist mit Farbe ausgedrückt.“15 Die hier erlebte Farbenwelt ergreift Hans derart, daß er seine eingeschlagene Richtung der vergangenen vier Jahre überprüft: „Die Bilder mit Ecken -, mit soviel Erinnern an J. Albers drängen mich von [dem] 1967 begonnenen Weg. Die Rothko-Ausstellung zwingt zurück. Gelb, Rot, Grün, Blau als reine Pigmente haben zu lange mein Denken beherrscht, die Gebrochenen sind auszuforschen.“

Neben den späten Arbeiten Rothkos üben auch die „Black Paintings“ von Ad Reinhardt Einfluß auf sein folgendes Schaffen aus. Durch Reduktion und Sublimierung, durch Tilgen des Bildereignisses sowie mittels dunkler Farbpalette und Beschränkung der Form auf symmetrische Ordnungen, die keine Ablenkungen mehr bieten, hat der amerikanische Künstler in jenen Werken die Malerei an die äußerste Grenze der Sichtbarkeit getrieben. Derart der Zeit und Raum enthoben, sind Reinhardts Bilder Stimmen des Schweigens.

Einen Klang der Stille prägen auch die dunklen bzw. hellen Kompositionen, die Hans von 1971 bis 1978 hervorbringt. In langen Arbeitsprozessen macht er sich die gebrochenen Tonstufen und gemischten Komplementärfarben zu eigen. Neben Schwarz und Weiß besteht seine Farbskala aus den Mischungen der reinen Farben von Gelb bis Blau; dazu verwendet er u.a. Erdtöne wie Caput mortuum und Ocker. Mit ihnen formuliert er Farbzusammenhänge, die seinen Bildgedanken in subtilerer Weise als die reinen Farben Ausdruck verleihen. Die Form spielt nun eine untergeordnete Rolle, denn nicht sie „soll das Bild tragen, sondern die Farbe. Form ist tot, erst die Farbe erweckt die Form. Farbe hat Gestaltungscharakter, Form gibt Raum für solche Gestaltungen.“Um die Mischtöne zu ihrer reinsten Ausstrahlung zu bringen und die Flächen zum Leben zu erwecken, trägt Hans bis zu acht dünne Farbschichten auf, wobei ihm die ersten allein dem „Dichtmachen“ des Malgrundes dienen. Ausschlaggebend für die geheimnisvolle Farbwirkung sind jedoch die beiden letzten Lagen. Diese Maltechnik behält Rolf Hans nicht nur für seine Gemälde, sondern auch für seine Papierarbeiten bei.

 

Bei der formalen Gestaltung knüpft Hans an die „Streifenbilder“ von 1967 an, nutzt jetzt aber geometrisch exakte Rechtecke als Träger der Farbaussage. So finden wir bei den Aquarellen „Büren an der Aare“ mit Bleistift und Lineal genau festlegte Farbflächen vor, die durch eine schmale weiße Linie voneinander getrennt sind. In diesen im Sommer 1973 entstehenden Arbeiten stimmt die jeweilige Reihung der Farben eine Tonabfolge an, die aus den verschiedenen Nuancen von Schwarz und Grau erklingt, während die unterschiedliche Breite der Felder den pulsierenden Rhythmus vorgibt. Daher erleben wir in jedem Bild trotz der gleichen Grundtöne eine ganz andere Melodie.

Dem gleichen Gestaltungsprinzip folgen die Gemälde. Indes ist, wie bei „Drei Teile Rot“ von 1972, nicht eine einzige Malfläche unterteilt. Vielmehr sind es meist zwei oder drei separate Leinwände, die durch einen Rahmen zusammengehalten werden; bei anderen Bildern werden die einzelnen Farbträger durch eine rückseitig montierte Holzlatte verbunden.

Während in dieser subtil arrangierten Komposition die beiden feinen Abstufungen des Rottons einen harmonischen Dialog ergeben, entsteht in „Caput mortuum mit Hellem“, 1974, ein Zwiegespräch zweier kontrastierender Farben. Der Gegensatz von gebrochenem Weiß und braun-rotem Eisenoxyd ergibt eine eigenwillige Wirkung. Angesichts des Titels können bei uns Assoziationen an den Tod wach werden: „Caput mortuum“ bezeichnet zwar hier die Farbe des Eisenoxyds, bedeutet aber wörtlich aus dem Lateinischen übersetzt ‚toter Kopf, Schädel‘. Doch weder die Farbwahl noch die allgemein vorherrschenden dunklen Töne dieser Schaffensphase haben für Hans etwas mit jenem Gedanken zu tun.

Mit der in den „Farbflächenbildern“ gefundenen Darstellungsweise und dem minimalistischen Farbenkanon gelingt es Rolf Hans nachhaltig, uns die „Sprache der Farben“ näher zu bringen. Ohne jegliches Plakative treten die Farben leise von Innen nach Außen heraus, teilen sich mit und eröffnen ein Gespräch mit uns: nicht von der Oberfläche aus erreichen sie unsere Seele, sondern über das Auge.

Büren an der Aare VII - Rolf Hans Büren an der Aare VII, 1973
 
Caput mortuum mit Hellem - Rolf Hans Caput mortuum mit Hellem, 1974
Drei Teile Rot - Rolf Hans Drei Teile Rot, 1972