„Monochrome Bilder“ 1976 – 1990

Ohne Titel - Rolf Hans Ohne Titel, 1976
 
Ohne Titel - Rolf Hans Ohne Titel, 1978

Ab 1976 reduziert Rolf Hans sein Farbvokabular noch weiter und verleiht seinen Bildgedanken einzig in monochromen Flächen Ausdruck. Zudem konzentriert er sich in den folgenden zwei Jahren vor allem bei seinen Papierarbeiten auf das intensivste Medium, das einem Maler zur Verfügung steht: die unbunte Farbe Schwarz, in der sich der Zustand völliger Ruhe manifestiert: „Das Schweigen, die Stille im Gespräch machen reich, weil sie der Rede nicht bedürfen. Wohl der Übereinstimmung, ähnlich dem Selbstgespräch, dem Einssein mit der Natur, dem Verständnis bei der Liebe. Man benötigt die Worte nicht.“

Zweifellos sind Hans‘ Zeichnungen nicht stumm, wie wir bei dem Blatt „Ohne Titel“, 1976, entdecken können. In kräftigen Schraffuren ist hier die Ölkreide aufgetragen, wobei jene nicht blickdicht neben- und übereinander gesetzt sind. Auf diese Weise entstehen kleinste Partien von Dunkelgrau- bis Weiß-Schattierungen, die wie silbrige Lichteffekte wirken. Schauen wir genauer hin, erfahren wir, wie die gesamte Fläche von innen heraus vibriert.

Solche höchst subtilen Mittel finden wir auch in der Filzstiftzeichnung „Ohne Titel“ von 1978, die eine gleich starke, aber anders geartete Dynamik inne hat: Breite, fast senkrechte Linien bedecken das Papier, die teils direkt aneinander grenzen oder sich überlappen, so daß immer wieder das Weiß des Malgrundes in schmalen Bahnen hervortritt. Bei längerer Betrachtung beginnt dieses Stakkato von Schwarz und Weiß vor unseren Augen zu changieren. Einen Akzent setzt der schmale durchbrochene Farbstreifen nahe dem Zentrum, der uns einen Moment der Ruhe ermöglicht. Arbeiten wie diese zaubern viel Verwandtes zum Informel seiner frühen Bilder hervor.

Doch sucht Hans immer wieder das organisch Wuchernde seines Wesens zu zähmen und auf ein Minimum zu reduzieren. Dieses Streben zeigt sich in einer Vielzahl von Tuschzeichnungen – Serien und Einzelblätter –, die zwischen 1976 und 1981 entstehen. In ihnen greift Hans ein Medium auf, mit dem er sich schon Mitte der 1960er Jahre beschäftigt hat (vgl. Abb. gegenüber oben). Vor allem während seiner Aufenthalte im Tessin ist ihm die Tusche ein wichtiges Ausdrucksmittel: „Ferien voller Zeichnungen/ Luther gelesen/ die Natur wie Religion erlebt.“

Seit 1967 zieht es Hans immer wieder ins Centovalli, das schon für die Dadaisten eine starke kreative Atmosphäre ausstrahlte. Und auch ihn inspirieren die Abgeschiedenheit und einzigartige Schönheit der Landschaft bei jedem Besuch von Neuem. Eindringlich arbeitet er hier „in der Natur nach dem Kopf. “Das heißt für ihn, nicht die Natur wirklichkeitsgetreu wiederzugeben, sondern nach ihrem Vorbild die mathematische Formel des Organischen als Gesetzmäßigkeit der Schöpfung mit dem eigenen Instrumentarium bildhaft zu vermitteln.

 

Möglicherweise entsteht auch die Serie mit Tuschpinselzeichnungen „Ausschuß 1 - 5“ von 1978 während seiner Ferien im Tessin. Wie bei den „Flächenbildern“ ist die schwarze Farbe lasierend aufgetragen, wobei auch hier jegliche Andeutung der Handschrift negiert ist. Anders als bei jenen Arbeiten sind die monochromen Flächen mit keiner abschließenden Kuntur, sondern allein mittels schmaler Linien eingefaßt, die ihnen einerseits kompositorischen Halt verleihen, andererseits genügend Raum lassen, sich frei zu entfalten; formlos ziehen sie sich zusammen oder breiten sich aus. Dergestalt könnten wir meinen, die schwebenden Farbflächen würden ‚atmen‘.

Nicht nur in diesen, sondern auch in den folgenden Bilder tastet sich Hans an die Realität heran: „Immer wieder der alte Wunsch, die Natur zu durchschauen, Teile ihres Ganzen zu begreifen und sie mit eigenen Mitteln darzustellen. [...] Die Natur ist es, an deren Freiheit und Ordnung, Ausgelassenheit und Formensinn, die eigene Kritik ihre Maßstäbe festigt. Sie bietet viele Variationen, man muss sie nur sehen. “Damit dient ihm die Natur, sich von den beherrschenden Steuermechanismen und der Sachlichkeit seiner künstlerischen Mittel zu befreien, um der Schöpfung ein Stück näher zu sein.

 

Ausschuss 1-5 - Rolf Hans Ausschuss 1-5, 1978
Sternenzelt - Rolf Hans Sternenzelt, 1979
Auf kräftigem Rot - Rolf Hans Auf kräftigem Rot, 1979

In dem Jahr, in dem Hans diese Folge von Tuschen anfertigt, arbeitet er wieder mit Pastellkreiden. Hiermit einhergehend, ändert er auch sein Farbenspektrum: „Farbenrausch im reinen Pigment. Ein Griff in die Palette der Pastellkreiden, der vor Jahren erstarb, feiert Wiederauferstehungsorgien. Die Zügel fallen. “Diese Euphorie können wir in „Sternenzelt“, 1979, nachvollziehen. Ohne jegliche Begrenzung oder Einfassung ist beinahe das gesamte Blatt mit Farbe bedeckt. Durch die Schichtung der mehr oder weniger opaken Farbaufträge in Abfolge von hellen zu dunklen Blautönen erreicht Hans nicht nur eine sublime Bewegung innerhalb der Fläche, sondern auch eine ungeheure Leuchtkraft der Farbe.

Das gilt ebenfalls für das zeitgleich entstandene Blatt „Auf kräftigem Rot, Tegna/Tessin“, bei dem die Sequenz der überlagerten Farben von dunklen zu hellen Nuancen des Grundtons verläuft. Das verwendete industriell gefärbte rote Papier als Malgrund verstärkt die subtile Farbwirkung. Die Integration von farbigem Bildträgern in die Komposition finden wir bei den Pastellen immer wieder, wie z.B. bei der Reihe „Tegna/Tessin“ von 1982.

 

Ohne Titel - Rolf Hans Ohne Titel (Dezember 1980)
Ohne Titel - Rolf Hans Mai VI/2 - Dreimal Blau, 1981

Bei den Arbeiten auf Papier von 1980 und 1981 nimmt Hans das Element der Rahmung noch einmal auf. Zunächst faßt er die Fläche mit einer sehr feinen Linie gefolgt von einem breiten Streifen in meist abgestuften, dunkleren Tönen ein, wie z. B. bei dem Tempera- Aquarell „Ohne Titel (Dezember 1980)“. Die doppelte Umrahmung läßt uns das behutsame Nach-Vorne-Streben des grünlichen Feldes noch stärker empfinden, wobei die abgerundeten Ecken eher ein Nach-Vorne-Wölben suggerieren.

Eine Steigerung dieser Dynamik erfahren wir in dem Aquarell „Mai V/2 - Dreimal Blau“, 1981. Hier sind an den Rändern der dominierenden, strahlend blauen Fläche jeweils eine schmale Bahn der beiden darunterliegenden Farbschichten – in Rosé und hellem Blau – zu sehen. Umgeben sind sie von einem Blau-Schwarz, das als dunkelste Farbpartie der Komposition noch mehr Tiefe verleiht. Dergestalt bilden die beiden hellen Streifen das dramatische Moment des Schauspiels: Wie ein nicht enden wollendes Echo begleiten sie den Hauptakteur und sind die impulsive Kraft, die ihn zu uns drängt.

 

Demgegenüber scheinen die Farbfelder bei den anschließenden Bildern ungehindert über dem Grund zu schweben, wobei die darunterliegenden Farben an ihren Rändern mal mehr, mal weniger hervorschimmern. So erstreckt sich in dem Gemälde „Farbsprache Rot II“, 1983, die Fläche bis nah an die Bildgrenzen, aber nicht über diese hinaus. Hans trägt hier zunächst opakes Weiß als Grundlage auf die Leinwand auf, bevor er die anschließenden Farben darüber legt, so daß insgesamt eine homogene Bildoberfläche entsteht.

Bei anderen Arbeiten wie „Spanisches Blau (Mancha)“, 1983/84 grundiert er die Leinwand dagegen mit einer dunkleren, transparenten Farbschicht, auf die er dann teilweise körnige Farblagen setzt. Dadurch korrespondiert die grobe Struktur der Leinwand an den Bildrändern mit der rauhen Stofflichkeit des blauen Farbfeldes. Zugleich kommt durch das sich an der unebenen Oberfläche brechende Licht ein nicht kalkulierbares Gestaltungselement hinzu, das der Komposition zusätzliche Lebendigkeit gibt.

 

Farbsprache Rot - Rolf Hans Farbsprache Rot II, 1983
Spanisches Blau Mancha - Rolf Hans Spanisches Blau (Mancha), 1983/84

Diese Vitalität steigert Hans noch durch seine Farbwahl. Inspirationen hierzu findet er während seiner Reise durch Spanien im Spätsommer 1983, wo ihn die „Feste der Farbe“ unter der südlichen Sonne immer wieder faszinieren: „[...] Grünes in menschlichen Variationen,/ fahles Gelb, Goldocker,/ Grautöne, warme, kalte/ Fleischfarbenes gegen dunkles Braun,/ Violettes in hellen Tönen,/ Orangener Ocker nach Rot,/ rötliches in Differenzierungen nach Braun/ das all überspannende Blau. Grelle Farben des Tages,/ leuchtend, stille Farben der Dämmerung,/ dunkle Töne im Übergang zur Nacht,/ gedämpfte Farben des Morgens. “Derartige stimmungsvolle Farbartikulationen begegnen uns immer wieder in den Bildern von 1984 bis 1990. Anders als bei den Gemälden wie „Spanisches Blau (Mancha)“ erzeugt hier nicht die rauhe Oberflächenstruktur das Bewegungsmoment, sondern die Abstufungen des bildbeherrschenden Farbtons, wie etwa in dem Pastell „Ohne Titel (September 1986)“. Auf schwarzem Grund, der partiell durchschimmert, sind die feinen, hellen und dunklen Schattierungen des Brauns diffizil aufgetragen. Ihr Gefüge mag an eine dichte Wolkenformation erinnern, die bedrohlich ein Sommergewitter ankündigt.

Wie bei diesem Blatt trägt auch in der „Zeichnung Gelb“ vom April 1986 der Malduktus zur Dynamik der Komposition bei. Mit kurzen Pinselschwüngen sind die Temperafarben in den verschiedensten Nuancen vom Weiß-Gelb bis zum Ockerton auf das Blatt gesetzt. Auf diese Weise beginnt schon nach kurzem Hinschauen die gesamte Fläche vor unseren Augen regelrecht zu ‚tanzen‘. Gelb ist die Farbe des Lichts. Was Hans hier auf das Papier bannt, ist das universelle gleißende Licht eines warmen Frühlingstages.

Mit den „monochromen Bildern“ findet Rolf Hans seine ganz eigene künstlerische Formulierung, um uns die Welt, wie er sie sieht und erfährt, mitzuteilen. Er empfindet die Welt in Farben. Und so sind Farbsubstanz und Farblicht Basis seines malerischen Vokabulars. Als wichtiges Kompositionselement kommt die Farbform – einschließlich Schwarz-Weiß – hinzu, weil nur sie Neues zu gestalten erlaubt. Sie ist ihm Maß, Mittel und Ordnung bei der Übertragung von der Außen- in die Innenwelt, durch die er seine Eigenwelt lebendig werden läßt. Und es gilt ihm, sie mit Vernunft und Logik, aber auch mit Ausgelassenheit und Anmut zu füllen. Bei ihrem Gebrauch orientiert sich Hans an der Natur, denn sie „zeigt ihre Farben in differenzierten Formen, ohne Inhalte, weil sie keine benötigt, die Winteraster z.B., kaltgrünes Blattwerk, strahlend weisse Blüten. Mit Form präsentiert sich Farbe, man versucht vergeblich nach Inhalten. “Der Ästhetik räumt er dagegen nur einen kleinen Spielraum ein, da sie dem Zeitgeist unterliegt. Das ausschlaggebende Element ist und bleibt für ihn der kontrollierte Einsatz seiner individuellen Handschrift.

Mit der „Sprache der Farben“ offenbart uns Rolf Hans in seinen Bildern unerschöpfliche Variationen über die Empfindung der Unendlichkeit der Natur, die den Menschen in der Tiefe seiner Existenz bewegt. Dabei ist er sich bewußt, daß die Wesensart der Natur eine ganz andere ist, als die seiner Arbeiten. Denn während jene Maßstäbe besitzt, die auf Vielfalt und Dauer angelegt sind, sind seine Schilderungen Niederschriften von augenblicklichen Eindrücken und stellen damit Ausschnitte dieses Ganzen dar. Um so mehr strebt er danach, eine allgemeingültige Aussage zu finden. Hierin folgt Hans der Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts. Wie Caspar David Friedrich oder Philipp Otto Runge nutzt auch er die Natur als Vorlage, „um die Mathematik des Organischen als Logik ihrer Aussage bildhaft dar[zustellen]. “Eindringlich tut Hans dies mit äußerst minimalen malerischen Mitteln. Er verzichtet auf spektakuläre Effekte und auf dramatische Symbolik. Allein durch die von innen heraus leuchtende Farbigkeit, in der Zeit und Ort aufgehoben sind, lädt er uns ein, in seine Bildräume einzutreten. Die besinnliche Stille, die von ihnen ausgeht, ist Resultat eines konsequenten Prozesses der Selbstdisziplinierung, wobei die Kraft und Leidenschaft seiner Empfindung stets spürbar ist.

Hans‘ Bilder drängen sich uns nicht auf. Sie sind Meditationstafeln. In ihrer schweigenden Würde verlangen sie von uns Konzentration und Kontemplation. Und so müssen wir uns nur frei auf sie einlassen, wollen wir in den frühen Arbeiten die Dynamik und das Spannungsverhältnis zwischen Farben und Formen sowie bei den späten Werken das Atmen der Bildräume erkennen. Auf diese Weise läßt uns Hans an seinen inneren Reflexionen teilhaben, entschlüsseln müssen wir sie jedoch selbst.

Ohne Titel (September) - Rolf Hans Ohne Titel (September 1986)
 
Zeichnung Gelb - Rolf Hans Zeichnung Gelb, 1986