„Fleckenbilder“ 1961 – 1965

Heinz Kreutz, Barocke Erinnerung, 1955/56,
Harzöl auf Leinwand, 98 x 121 cm,
Privatbesitz

 
E. W. Nay, Feuerspiel, 1956,
Öl auf Leinwand, 160 x 125 cm,
Privatbesitz

Seine autodidaktischen Anfängen gibt Rolf Hans von 1961 bis 1963 als Schüler des „Quadriga“-Künstlers Heinz Kreutz eine Basis für sein malerisches Schaffen. In dieser Zeit studiert er nicht nur den Tachismus (frz. „la tache“, der Fleck) seines Mentors, sondern auch den anderer Vertreter dieser nicht-geometrisch-abstrakten Kunstrichtung des Informel, die allein mittels Farbe und Duktus emotional und spontan Erlebnisse und seelische Regungen ausdrücken wollen. Zudem beeindruckt Hans die abstrakte Malerei von Ernst Wilhelm Nay. Hier reizt ihn vor allem die autonom eingesetzte Farbe und die arithmetische Ordnung der Fläche vor dem Bildgrund, aus denen Nay seine „Scheibenbilder“ formt. Darüber hinaus beschäftigt sich Hans ausführlich mit den Ausdrucksmöglichkeiten der japanischen Kalligraphie.

Zugleich setzt sich Hans eingehend mit den Farbtheorien von Johann Wolfgang von Goethe, Philipp Otto Runge – „ein Muss für einen angehenden Maler“ –, Johannes Itten und Heinz Kreutz auseinander. Sie bilden eine weitere Grundlage für seine künstlerische Entwicklung. Rückblickend schreibt er über dieses Studium: „Kürzlich fand ich Johannes Itten’s Farbenlehre, die grosse Ausgabe von 1961, auf dem Flohmarkt. Beim Durchblättern wird bewusst, wie viel Theorie gelernt und geübt sein will, um beim Arbeiten aus dem Unterbewussten zu schöpfen. Komplementäre-, Simultane Farben, Helle und Dunkle-, Warme und Kalte- Farbkontraste, Qualitäts-, Quantitätskontraste. Müsste man sich diese Dinge beim Arbeiten bewusst machen, man käme kaum zum Arbeiten, das Überprüfen frässe alle Kreativität. Damals, als die Theorien gelernt und geübt wurden, war Itten’s Farbenlehre noch nicht verlegt, als sie erhältlich ward, konnte ich sie mir nicht leisten. Erschwingliche Quellen dazumal, J.W. Goethe, PH. O. Runge, die Farbenlehre von Heinz Kreutz, sie kopierte ich handschriftlich vom Originalmanuskript, um Theorien im Kopf zu verankern, mich an ihnen zu versuchen.“

All diese Inspirationen nimmt Rolf Hans auf und verarbeitet sie zu ganz eigenen Ausdrucksmöglichkeiten. Im Gegensatz zu den Arbeiten informeller Malern, wie K. O. Götz oder Emil Schumacher sind seine abstrakten Bilder keine Ergebnisse von zufälligen und impulsiven gestisch-expressiven Malaktionen. Sie sind vielmehr Resultate eines überlegten und ausgewogenen Gestaltungsvorganges, bei dem der Farb-, Form-, und Linienzusammenhang immer erhalten bleibt, so daß sich eine Art ästhetischer Berechenbarkeit in die bedingungslose Freiheit seiner Vorgehensweise drängt. Die Spontaneität schließt Hans beim Komponieren jedoch nicht aus: „Nichts schlimmeres als die leere Leinwand auf der Staffelei. Ich habe bestimmte Vorstellungen sie mit bestimmten Farben zu bedecken, dies geschieht schnell und in einem Arbeitsgang. Schon im Zweiten erweisen sich die ersten Vorstellungen als Scheinvorstellungen, da sich durch das Aufsetzen der Farbe neue Wege zeigen, die meistens von den alten abweichen. Die japanischen Kalligraphen setzen schwarz auf weiß und gliedern so ihre Fläche. Verschiebt sich das Schwarze ins Blaue entsteht schon die Forderung der Gegenfarbe ... aus Weiß wird Gelb, andere Farben treten hinzu und verlangen nach Neuen. Es beginnt das Farb-Komponieren in Formen. Es ist letzten Endes die Form die ein Bild zu einem Kunstwerk erhöht.“

 

In „Blau in roter Begleitung“, 1961/69, stoßen pastose Flecken in Blautönen von Violett bis Grau geballt auf dunkelrote und einige wenige, akzentuierende grüne Flächen. Ist ihre Gestalt am Bildrand aufgelöst, so verdichten sich diese zur Mitte hin zu festen, rundlichen Formen. Eng aneinander gedrängt und sich überlagernd, unterliegen sie alle einer Sogwirkung, die sie unaufhaltsam zum oberen Bilddrittel führt, wo sie auf transparente, wolkenartige Farbflächen treffen. Wie die Steine einer Geröll-Lawine scheinen die Fleckenformen eine Felswand hinunter zu stürzen, hinein in ein uns unbekanntes Dunkel. Irritierend ist, daß hier das ‚nach unten Stürzen‘ eigentlich ein ‚nach oben Steigen‘ ist. So entsteht das Gefühl, wir stünden an einem Abgrund, von dem aus wir das Gesehene verfolgen. Und je länger wir dies tun, um so mehr werden wir selbst von der bildübergreifenden Anziehungskraft erfaßt und von ihr mitgerissen.

Ganz anders ist die Wirkung von „Gelb-Violett-helles Rot“, 1962, der man sich auch kaum entziehen kann. Hier treffen wir auf das Feuerspektakel eines ausbrechenden Vulkans. Aus dunkel blauem Grund verbreiten sich weiße, hellbraune und -violette Rauchfahnen, lodern gelbe Flammen empor, fliegen uns gelbe, violette sowie rote Funken und Feuerbälle entgegen. Explosionsartig wird alles auseinander gesprengt und in ein unaufhörliches Chaos versetzt, das weit über die Bildgrenzen reicht. Die Dramatik des Geschehens erfährt zusätzlich durch das Zusammenwirken der Farben, insbesondere des Komplemtärkontrastes Gelb-Violett, eine eindrucksvolle Steigerung.

 

Blau in roter Begleitung, 1961/69
Gelb-Violett-helles Rot, 1962
Blau in roter Begleitung Blau-Grau-Blau, 1962
 
Blau in roter Begleitung Orange-Violett, 1965
Blau in roter Begleitung Ohne Titel (1963/1), 1963

Sprüht dieses Pastell vor unbändiger Dynamik, zeigt uns das Gemälde „Blau-Grau-Blau” aus dem selben Jahr ein anders geartetes Schauspiel. Assoziationen an das Meer mögen hier geweckt werden. Die Komposition wird beherrscht von schwadenartigen Formationen in wenigen Blauabstufungen, die stellenweise von grauen Flächen unterbrochen werden. Als habe ein Krake seine Tinte ergossen, lösen sich Flecken- und Strichgefüge von der tiefblauen organischen Form in der rechten Bildhälfte und durchdringen teilweise die sie umgebenden blauen Farbschichten. Vom ‚Element Wasser‘ getragen, ziehen sie langsam, fast schwerfällig vor unseren Augen zur gegenüberliegenden Seite. Die stille Bewegung wie auch die stark reduzierte Palette erzeugen eine besinnliche Ruhe, bei der wir angesichts unseres immer hektischer werdenden Alltags gerne verweilen wollen.

Die flüssigere Niederschrift sowie das Einsetzen von breiten oder schmalen Liniengefügen, die das Bild aufweist, resultieren aus Rolf Hans’ Auseinandersetzung mit der japanischen Kalligraphie (vergl. Tuschzeichnung rechts). Diese zeichnerische Komponente, durch die er zu einer konzentrierten und klaren malerischen Sprache gelangt, finden wir auch bei dem Pastell „Ohne Titel (1963/1)”. Mit schwarzen Konturen sind nun die abgerundeten Flecken eingefaßt. Durch ihre teils stehengelassenen, teils verwischten Binnenschraffuren erhalten sie ein Innenleben, so daß jede Form einen individuellen Organismus darstellt. Eingebunden sind sie in einen spiralförmigen Rhythmus, dessen Ausgangspunkt der grell weiße Fleck bildet. Welch starke Energie von ihm ausgeht, deuten das schwarze Linienbündel und die hier und da aufzuckenden, kleinen roten Blitze an. Unterbrochen wird die kreisende Bewegung jedoch durch das Verkanten des kleinen blauen Flecks, das die gesamte Formation aufbrechen läßt.

Nach seinem Umzug von Frankfurt nach Basel 1963 modifiziert Rolf Hans immer mehr seine Kompositionsweise. Anfänglich sind es noch „Fleckenbilder“, doch weisen diese nicht mehr die brodelnde Dynamik der vorangegangenen Arbeiten auf. Ihre Farbflächen sind gefestigter, die totale Auflösung zusammengefaßter, wie es bei „Orange-Violett”, 1965, zu sehen ist. Hier nehmen die opaken Flecken die Formen von Scheiben an, die auf ihrer Bahn an uns vorüberziehen. Sie scheinen vor dem Malkarton zu schweben. Dessen Farbton durchdringt in einigen Partien die Flecken und bindet sie somit an die Bildfläche. Spannung erzeugen die unterschiedlichen ‚Distanzwerte‘ der titelgebenden Sekundärfarben wie auch das Reiben und Übereinanderschieben der Scheiben, wodurch wir die Vorstellung einer schwingenden Bewegung in Fläche und Raum erhalten. Nicht Harmonie, sondern das Aussöhnen von Gegensätzen ist das Gestaltungsprinzip dieses Temperabildes.